Im Zweifel für die Regierung

5.07.2010 | Kommentare

Im Eilverfahren eines Bundestagsabgeordneten gegen das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (BR-Drs. 291/10, BT-Drs. 17/1685, BT-Drs. 17/1740) hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den Antrag auf eine einstweilige Anordnung, der Bundesregierung die Mitwirkung an allen notwendigen intergouvernementalen und regierungsamtlichen Beschlüssen zu untersagen, abgelehnt. Die Ablehnung fußt darauf, dass der Antrag „jedenfalls“ unbegründet sei.

Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass im Rahmen des § 32 Abs. BVerfGG das Gericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln dürfe, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile zum Gemeinwohl dringend geboten sei. Die dabei zugrundeliegenden strengen Maßstäbe würden sich in diesem Fall noch dadurch verschärfen, dass es sich um eine Maßnahme mit völkerrechtlichen und außenpolitischen Auswirkungen handele.

Sodann prüft das Bundesverfassungsgericht sowohl die Beteiligung Deutschlands mit ca. 140 Mrd. EUR Gewährleistung am so genannten „Eurorettungsschirm“als auch den Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Sie würdigt den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen dieser Sicherungsmaßnahmen als „ihrer Leistungskraft entsprechend“. Im Übrigen übernimmt sie 1 zu 1 die Einschätzung der Bundesregierung, dass auch bereits im Fall einer vorübergehenden Aussetzung der Gewährleistungszusagen der Bundesrepublik Deutschland eine Vertrauensminderung an den Märkten eintreten würde, deren Folgewirkungen nicht absehbar wären.

Der Senat stellt sich auf den Standpunkt, dass die auf eine Prognose von Marktreaktionen gerichtete Einschätzung der Bundesregierung – solange sie nicht eindeutig widerlegt sei – im einstweiligen Verfahren nicht aufgeklärt werden müsse. Denn bei der Beurteilung außenpolitischer Situationen, zu der auch die Lage der internationalen Finanzmärkte zu rechnen sei, stehe die Bundesregierung im gewaltenteilendem System aufgrund ihrer fachlichen Zuständigkeit, ihrer besonderen Sachnähe und ihrer politischen Verantwortlichkeit ein Einschätzungsvorrang zu, den das Bundesverfassungsgericht vorbehaltlich einer eindeutigen Widerlegung zu respektieren habe.

Die Begründung des Antrags auf eine einstweilige Anordnung von Seiten des Prozessbevollmächtigten umfasste ganze acht Seiten und enthielt keinerlei Argumente über die ökonomischen Folgen einer Suspendierung der deutschen Beteiligung am so genannten „Eurorettungsschirm“. Insofern verwundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht sich auf den Standpunkt stelle, keine hinreichenden Ansatzpunkte dafür gehabt zu haben, dass die währungs- und die finanzpolitische Einschätzung der Bundesregierung fehlerhaft gewesen sei. Vielmehr wertet der Zweite Senat die Stellungnahmen des Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als auch des Präsidenten der Bundesbank im Rahmen der Anhörung vor dem Haushaltsausschuss als eine Bestätigung der Einschätzung der Bundesregierung.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mag vertretbar erscheinen angesichts der schwächlichen Begründung des Antrags auf einstweilige Anordnung, indes ist unverkennbar, dass der Zweite Senat den Einschätzungen staatlicher Organe –also Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und Bundesbank – obwohl diese in der Öffentlichkeit ein zwiespältiges Echo erfahren haben [1] bzw. sich sehr differenziert zu dem Eurostabilisierungsmechanismus geäußert haben [2] unbegrenztes Vertrauen entgegenbringt. Soweit es sich hierbei um eine wohlwollende Beurteilung der Einschätzungsprärogative der Bundesregierung handelt, knüpft das Verfassungsgericht an eine lange Tradition der Verfassungsrechtsprechung und übt –Gott sei Dank – judicial restraint. Dort, wo indes Fachbehörden zitiert werden und der kontroverse Charakter der Äußerungen des Herrn Sanio als Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht übersehen bzw. die Monita von Bundesbankpräsident Weber ignoriert werden, gibt sich der Zweite Senat eine Blöße. So judizieren Richter, die ggf. nicht urteilsfähig sind, weil die ökonomische Komplexität des Vorgangs sie fachlich überfordert. Hierfür spricht die vorstehende Sachverhaltsfeststellung des Zweiten Senats, die von der Bundesregierung souffliert wurde bzw. der politische Unwille des Gerichts, eine hochpolitische Entscheidung überhaupt zu judizieren.

So erwähnt das Bundesverfassungsgericht an mehreren Stellen, dass der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank ein Teil des Eurostabilisierungspaketes war, ohne sich mit der rechtlichen Komplexität und einer


1 Vgl. FAZ vom 15.6.2010, Die Bundesbank schlägt Alarm.
2 Vgl. die Stellungnahme von Prof. Axel Weber, Präsident der Deutschen Bundebank anlässlich der öffentlichen
Anhörung des Haushaltsausschuses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf für ein Gesetz zur
Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus,
Pressenotiz, Deutsche Bundesbank, 19.5.2010.

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