Alles unter Kontrolle

15.08.2011 | Edition Europolis, Kommentare

Bericht aus der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Griechenlandhilfe und zum Eurorettungsschirm am 5.7.2011

Über 50 Verfassungsbeschwerden hatte das Bundesverfassungsgericht zur Griechenlandhilfe und zum Eurorettungsschirm erhalten. Zahlreiche Petenten wollten verhindern, dass ihre Grundrechte auf Eigentum und partizipative Mitwirkung an der Demokratie gem. Art. 38 GG durch die Verpfändung deutscher Ressourcen und insbesondere deutscher Bonität verletzt würden. Bei einem solchen Andrang in Karlsruhe sollte man meinen, dass das Gericht nicht nur die Qual der Wahl hatte, sondern nach qualitativen Gesichtspunkten die Pilotverfahren auswählen konnte. Zwei von den mehr als 50 Verfahren hatte es schließlich zum Piloten erkoren. Zwei, die bereits seit Jahren von den Medien als opposition de la majesté gegen Euro und Brüssel von sich reden machen. Zum einen den parlamentarischen Sonderling Dr. Gauweiler, der ein Narrendasein als direkt gewählter Abgeordneter in der CSU-Fraktion fristet. Er – ein ehemaliger Mignon von Franz Josef Strauß – kann sich mittlerweile alles erlauben. Und dies tut er auch wohlwissend, dass jede Verfassungsklage Publizität bringt und sein Profil als Anwalt schärft. Des Weiteren die Berufskläger gegen den Euro, die ihr Vorbringen selbst als Professoren-Klage betiteln: Die Herren Schachtschneider und Starbatty – beide emeritierte Ordinarien – sowie die Herren Nölling – ehemals Hamburgische Landesbank – sowie der Ex-HelaBank-Vorstand Wilhelm Hankel.

Von Anfang an machte der junge Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle klar, worum es nicht ginge: Ökonomische Debatten sollen nicht geführt werden. Gegenstand des Verfahrens seien allein Rechtsfragen. Wie man indes die ökonomische Ratio von der rechtlichen Betrachtung und ihrer Maßstäben trennen könne und solle, war nicht von vorherein für jeden ersichtlich. Der Berichterstatter di Fabio – seit Jahren ein beachteter Vortragsredner, der sich auch nicht scheut, zum Thema des Verfassungsbeschwerdeverfahrens seine Meinung der Öffentlichkeit kundzutun – führte in den Sachverhalt ein, um dann den Verfahrensbevollmächtigten der Petenten das Eingangsplädoyer zu überlassen. Schachtschneider appelliert – wie bereits in den vorhergehenden Verfahren –anstelle präziser juristischer Argumente, an die praktische Vernunft, das Kantsche Sittengesetz und das Sozialstaatsgebot. Wesentlich filigraner argumentierte der Kollege Voßkuhles von der Freiburger Rechtsfakultät, Herr Murswiek, unter Hinweis auf die Kronzeugen für den Vertragsbruch Frau Lagarde und Herrn Lellouche. Er wies darauf hin, dass das, was in Frankreich schick ist, nämlich der Bruch rechtlicher Regeln, wenn es die Not zu erfordern scheint, in Deutschland noch längst nicht verfassungsrechtlich zulässig sei. Unverkennbar seine skeptische Haltung gegenüber den Banken sowie der Hinweis auf die ultra vires-Dimension des Europäischen Rettungsmechanismus. Bundesfinanzminister Schäuble blieb dagegen im hergebrachten Argumentationsfaden. Er repetierte das, was seine Kanzlerin landauf – landab verkündet: Deutschland profitiere vom Euro, weil 40 % seiner Exporte in EWU-Staaten gingen. Ein Ökonom hätte ihm gut zur Seite gestanden. Denn dieser hätte ihm gesagt, dass das durchschnittliche Wachstum Deutschlands während der Zugehörigkeit zur EWU niedriger liegt, als das der heutigen Finanznotstandsstaaten.

Episodenhaft wirkte das Zeugnis des Bundestagsabgeordneten Kauder, Mitglied des Europaausschusses, der als Zeuge seiner eigenen Abdankung dem Parlament bescheinigte, zwar unter dem Druck der Bundesregierung aber mit großem Selbstbewusstsein entschieden zu haben. Es habe keine Erpressung stattgefunden. Jeder Abgeordnete habe seine eigene Entscheidung getroffen. Der Prozessbevollmächtigte des Deutschen Bundestages Mayer verstieg sich angesichts dieser unrepräsentativen Äußerung zu der Rechtsmeinung, dass die Verfassungsbeschwerden gar unzulässig seien, weil Demokratie nicht eingeklagt werden könne. Dann ging Präsident Voßkuhle zu den von ihm präferierten Rechtsfragen über. Sie galten den Beschwerdegegenständen und der Beschwerdetauglichkeit. Vielleicht hatte der Verfahrensbevollmächtigte Schachtschneider die Frage nicht als das verstanden, was sie war: nämlich eine Nachfrage bzw. ein Infragestellen dessen, was er bisher unterstellt hatte. So antwortete er, indem er auf das rekurrierte, was er in seinen episch langen Schriftsätzen bisher behauptet habe: „Hoheitliches Handeln könne immer tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein.“ Murswiek, der geschätzte Fakultätskollege von Präsident Voßkuhle, wusste da schon differenzierter zu argumentieren. Es sei zu unterscheiden zwischen einer materiellen Grundrechtsverletzung und einer Verletzung nach Art. 38 GG. Damit gab sich Voßkuhle indes nicht zufrieden, denn er wollte wissen, was aus dem komplexen Bündel von Maßnahmen schließlich angegriffen worden werde. So schleppte sich das von Bundestagsvertreter Mayer gelobte Rechtsgespräch dahin mit großer Gefälligkeit von Seiten des Gerichts gegenüber Herrn Murswiek, mit  souveränem Lächeln über Herrn Schachtschneider, um danach zur Begründetheit zu kommen. Indes nicht, bevor Herr Huber – Mitglied des Senats – die Frage aufwarf, ob aufgrund der Rettungsmaßnahme Inflationsgefahr bestehe. Wer so fragt, stellt sich ein Armutszeugnis aus, jedenfalls auf ökonomischem Gebiet. Die Diskussion der Begründetheit der Klagen brachte die versammelten Zuhörern zu den eigentlichen Kernfragen.

Voßkuhle:

  1. Gibt es einen verfassungsrechtlichen Schutz des Parlaments gegen sich selbst
  2. Darf sich bzw. kann sich die Demokratie abschaffen?
  3. Welche Mechanismen bestehen und wo liegen die Grenzen?
  4. Welche Vorgaben macht das Grundgesetz und welchen Einfluss haben die Art. 79 Abs. 3, 109, 115, 143 GG in diesem Zusammenhang?

Nachdem Mayer seine These wiederholt hatte, dass es kein Grundrecht auf Demokratie gäbe, kam der Berichterstatter di Fabio auf den Kern der Problematik. Er erinnerte an das Maastricht-Urteil, in dem die Frage aufgeworfen war, ob eine Währungsunion parlamentarisch verantwortbar sei. Ganz offensichtlich scheint das Kriterium der parlamentarischen Verantwortbarkeit ein entscheidender Maßstab für die Beurteilung der Rettungsmaßnahmen für Griechenland und den Euro zu sein.

Lichtpunkte parlamentarischen Wirkens taten sich auf, als der junge Abgeordnete Tonca von den Beratungen berichtete. Erstmals hatte man den Eindruck, dass das Deutsche Parlament geistig überhaupt präsent sei. Ebenso der Vortrag des Abgeordneten Silberhorn. Er ging auf das Einstimmigkeitserfordernis bei der Bewilligung von Rettungsmaßnahmen ohne die EFSF und dessen Nachfolger, den EMS ein. Kläglich daneben die Vertreter von EZB und Bundesbank. Hier wiederholten die zwergenhaften Klone des Herrn Trichet die bekannten Thesen, dass der Zweck aller Maßnahmen die Wahrung der Finanzstabilität gewesen sei. Es habe die Gefahr bestanden, dass sich die Folgen der Lehmann-Brothers-Krise wiederholt hätten und Ansteckungsrisiken entstanden seien. Risiken für die Geldmengenentwicklung und die Inflation seien nicht gegeben. In die Vergangenheit wurde geblickt, um Deutschland in den letzten 12 Jahren eine Durchschnittsinflation von 1,5 % zu attestieren, während bekanntlich dieselbe gegenwärtig bereits auf 2,7 % gestiegen ist. Der Vertreter der Bundesbank repetierte nur – auf rhetorisch schwachem Niveau – was sein Kollege von der EZB bereits ausgeführt hatte.

Zum Schluss noch ein Highlight: Nicht etwa Ifo-Chef Sinn, der auf Vorschlag von Herrn Murswiek als Sachverständiger vom Senat angehört wurde, sondern Wilhelm Hankel, ihm gelangen Worte wie Sterne:

Als deutscher Volkswirt hat man vor einem Verfassungsgericht schlechte Karten.

Dennoch versuchte er und es gelang ihm im Wesentlichen die inexistente Nachhaltigkeit des Konzepts der Währungsunion heterogener Volkswirtschaften darzulegen. Diese knappe Synthese, dieser Protest gegen die Kopfgeburt des Primats der Politik, des Willens entgegen aller ökonomischen Vernunft, den Völkern Europas eine gemeinsame Währung zu oktroyieren, hat ausgereicht, der mündlichen Verhandlung im Verfassungsgericht zu lauschen. Hankel sprach frei, er hatte kein Konzept im Kopf. Sein Kollege Streilnny hatte gut daran getan zumindest vom Blatt zu singen.

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