Das Bundesverfassungsgericht und seine Feinde / Le Tribunal Constitutionnel et ses ennemis

25.08.2009 | Kommentare

Spätestens mit der Verkündung des Lissabon-Urteils des BVerfG am 30.6. verstummten die Siegesfanfaren der Verfahrensbevollmächtigten von Bundesregierung und Bundestag[1].  Während der mündlichen Verhandlung am 10./11.2. hatten sie – die Ordinarien für Öffentliches Recht, Pernice, Mayer und Tomuschat-  die Gewissheit bekundet, vom obersten deutschen Gericht das zu erhalten, worauf sie nicht nur juridisch-argumentativ sondern im Namen der europapolitischen Korrektheit meinten, einen Anspruch zu haben. Das Verdikt des 2. Senats erschien ihnen nicht mehr als ein überfälliges laisser passer für den „alternativlosen“ Integrationsprozess, der jenseits demokratischer Legitimität in Brüssel spätestens seit dem Maastricht-Vertrag organisiert wird. Dementsprechend hatten sie die schriftsätzliche Argumentation pro Lissabon-Vertrag als eine Fingerübung verstanden. Die Verfahrensbevollmächtigten von Bundestag und Bundesregierung waren sich einig: Das BVerfG würde es nicht wagen, von seinen Prärogativen Gebrauch zu machen und den Lissabon-Vertrag zu kassieren oder ihn im Unterschied zum Maastricht-Urteil nur mit einem streng konditionierten Ja abzusegnen.

Daher war die Überraschung groß, als das BVerfG ein Urteil verkündete, das die ratifizierende Zustimmung zum Lissabon-Vertrag nur „nach Maßgabe der Urteilsgründe“ guthieß und im Übrigen dem Bundestag peinlicherweise bestätigte, in dem von ihm beschlossenen Begleitgesetz nicht einmal die partizipativen Minimalia bei der Integration eingefordert zu haben. Die Bestürzung von Aussenminister Steinmeier bei der Urteilsverkündung war so offensichtlich, dass sein nachfolgendes Sieges-Statement jeder Glaubwürdigkeit entbehrte.

Seitdem sich das BVerfG am 30.6. von den politischen Erwartungshaltungen der legislativen und exekutiven Gewalt emanzipiert hat, setzte ein intellektuelles Kesseltreiben der Europa-Integrationisten gegen das Urteil aus Karlsruhe ein. Damit sind nicht die Äusserungen der Dienstleister für Frau Merkel, namentlich der Herren Röttgen und Rüttgers, gemeint. Als treue Gefolgsleute der Kanzlerin können sie gar nicht anders,  als jedwede inhaltliche Europa-Diskussion zu unterdrücken[2] und das neue Bundestags-Begleitgesetz mit verfassungsrechtlichen Minimal-Postulaten noch vor dem 24.9. durch die legislativen Instanzen zu schleusen, um der Kanzlerin die Pein des internationalen Imageverlustes zu ersparen.

Das Kesseltreiben im engeren Sinne betrifft neben individueller Urteilskritik[3] die Anprangerung des Karlsruher Verdikts  – dies ist eine Premiere –  als  „ausbrechender Rechtsakt“[4]  sowie den qualifizierten Vorschlag, die Spruchkompetenz des BVerfG in europarechtlichen Fragen gesetzlich zu beschränken.

Bemerkenswert an diesem Vorschlag ist u.a. , dass zu den Unterzeichnern  neben diversen Richtern und Anwälten der deutschen Provinz die Verfahrensbevollmächtigten von Bundesregierung und Bundestag zählen.

Sie formulieren allen Ernstes das Begehren, durch Änderung des BVerfG-Gesetzes das BVerfG zu verpflichten, bei allen verfassungsrechtlichen Verfahren über die Auslegung der EU-Verträge bzw. die Gültigkeit der Handlungen der EU-Organe das BVerfG zu zwingen, die jeweilige Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen. Die Unterzeichner dieses Aufrufes, zu denen auch der Direktor des Max Planck Instituts für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Armin von Bogdandy sowie Staatssekretär a.D.  Joachim Wuermeling gehören, sehen als Folge des Lissabon-Vertrages die Gefahr eines Justizkonflikts. Da sich das BVerfG ein Letztentscheidungsrecht bei allen Rechtsakten vorbehalte, für die Rechtschutz beim EuGH nicht zu erlangen sei und es ausserdem  dem EuGH die Rechtsfortbildung verwehre, müsse das bislang vom BVerfG praktizierte „Kooperationsverhältnis“ wiederhergestellt werden. Bezeichnenderweise konkretisieren Pernice, Tomuschat und Mayer die angebliche Gefahr eines Justizkonfliktes durch Hinweis auch auf jene EuGH-Urteile, die sie im Lissabon-Verfahren  vor dem BVerfG-Verfahren – so das Mangold-Urteil – als eklatante Ausrutscher abqualifiziert hatten.

Mehr noch: Würde das BVerfG EU-Vorschriften und EuGH-Urteilen in Deutschland die Anerkennung versagen, wäre die Europäische Kommission verpflichtet, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Um dies und die daraus folgenden Finanzsanktionen von Deutschland abzuwenden, müsse das BVerfG gefügig gemacht werden.

Dies ist entschieden abzulehnen. Denn die begehrte Einführung einer gesetzlichen Pflicht des BVerfG zur Vorlage der jeweiligen Rechtsfrage beim EuGH wäre keine Rekonstruktion des „Kooperationsverhältnisses“ sondern seine Unterwerfung unter den Integrationsmotor EuGH. Damit bestätigen die Urheber dieses Vorschlags den Verdacht  Dietrich Murswieks, durch den Lissabon-Vertrag solle das BVerfG zu einer Art Landesverfassungsgerichtshof degradiert werden[5].

Das Lissabon-Urteil des BVerfG lässt gewiss viele Fragen für zukünftige Integrationsfelder wie z.B. die unverzichtbare gemeinsame Verteidigung der Europäer offen. Abschließend und zutreffend regelt das Urteil indessen, wer bei allen europäischen Rechtsakten und Politiken, die die Verfassungsidentität berühren,  das letzte Wort behält. Dass das BVerfG dies für sich beansprucht, folgt nicht nur unmittelbar aus dem GG, sondern entspricht seiner im Lichte der deutschen Geschichte unverzichtbaren Rolle als Hüter der Verfassung. Das Grundgesetz wollte mit seiner Europaoffenheit keinen unabsehbaren Integrationsprozess gutheißen, an dessen Ende die demokratische und rechtsstaatliche Substanz der zweiten Republik auf dem Brüsseler Altar geopfert würde. Das deutsche Ja zu Europa ist verfassungsrechtlich stets mit Demokratie und Rechtsstaat (Art. 23, 79 III, 20 GG) verbunden. Die Versuche, nach der Niederlage bei der juristischen Bataille in Karlsruhe publizistisch nachzuhaken, sind in der verfassungspolitischen Diskussion ein bisher unbekannter Stil.

Inhaltlich signifikant daran ist die unverhohlene Absicht der Vertreter integrationistischer Orthodoxie, die europäische Integration als überverfassungsrechtliches Meta-Ziel im öffentlichen Bewußtsein zu verankern. Sie nehmen dabei in Kauf, die verfassungsrechtliche Legalität des Grundgesetzes in Gestalt seines Hüters – dem BVerfG – offen in Frage zu stellen. Dies allein verlangt nach einer Antwort auf die Frage:

Warum erklären Pernice, Tomuschat u.a. nicht offen, für wessen Rechnung sie handeln?


 

  • [1] Prof. Dr. Tomuschat für die Bundesregierung und Prof. Dres. Pernice und Mayer für den Bundestag.
  • [2] FAZ vom
  • [3] Roland Bieber in SZ v.20.7.2009 „ Autistisch und selbstgerecht“
  • [4] So der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschuss der Bundestags und Ex-Generalanwalt am EuGH Carl Otto Lenz in FAZ v. 8.8.2009 S. 7.
  • [5] Murswiek, NZVw 2009, 481 ff.

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